Mittwoch, 27. August 2014

Selber schuld: Nix funktioniert, aber das auf hohem Niveau

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Quelle: Tageszeitung "Die Welt" vom 9. August 2014


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Wir leben in Zeiten, in denen nichts funktioniert


Warum klappt nichts mehr im ersten Anlauf? Die einfachsten Dinge des Alltags werden vergeigt, verschoben oder gar vergessen. Sind wir einfach überfordert oder haben wir nur viel zu hohe Erwartungen? Von
    
Warum geht eigentlich alles schief? Warum klappt nichts von alleine? Warum kann man sich auf niemanden mehr verlassen, nur noch darauf, dass man nichts als Ärger hat, wenn man es trotzdem versucht? Nein, die Rede ist zur Abwechslung einmal nicht von den handelsüblichen, in den Sand gesetzten Megariesengroßbauprojekten.
Wir sprechen hier über die mittleren, kleinen und kleinsten Absprachen, Einkäufe und Versuche, das tägliche Leben einzurichten. Von der Post. Dem Anzugverkäufer. Den alltäglichen Verabredungen mit Kollegen und Freunden. Ist es wirklich alles schwieriger geworden? Oder hat man sich früher auch schon blind darauf verlassen können, dass einfach nichts so funktioniert, wie es eigentlich sollte?
Drei Mal hat der schnieke Verkäufer in Hamburg nach der Adresse in Berlin gefragt. Alles hat er in seinen flachen Computer eingegeben. Mehrfach. Ein Aufklebeschild hat er auf den Kleidersack mit dem Anzug geklebt. Berlin. Kommt nächste Woche. Überhaupt kein Problem. Wird per Post (Link: http://www.deutschepost.de/de.html) geschickt. Machen wir jeden Tag.

Schnell aufwischen!


Doch! Ist wohl doch ein Problem. Der Anzug kommt nicht. Natürlich. Es werden die üblichen Anstandstage gewartet, dann die Nachfrage per Telefon. "Ja, da war kein Vermerk im Computer, kein Zettel am Kleidersack. Das Teil sollte doch persönlich abgeholt werden, oder?" Nein. Sollte es nicht. Es sollte nach Berlin. Wie besprochen. Zu uns. "Tut mir leid. Oh, okay. Kommt dann spätestens morgen bei Ihnen an." Ja. Danke. Wir warten. Als kleine Entschuldigung gibt es ein Einstecktuch. Himmelblau. Putzig.
Der Klempner kommt pünktlich, um die neue Armatur zu installieren. Ist wirklich chic geworden. Sieht gut aus – und genug Wasser kommt auch heraus. Nur leider auch an den völlig falschen Stellen. Das Parkett in der Küche steht nach einer ausgiebigen Testdusche unter Wasser. Alarm! Alle Mann in die Wanten. Schnell aufwischen. Größere Schäden können durch beherztes Eingreifen der gesamten Familie vermieden werden.
Kleinlaute Klempner sind so ziemlich das Herzzerreißendste, was man im deutschen Alltag erleben kann. Das sei eben ein neues Modell, maunzt es zerknirscht aus dem Blaumann. Bei diesem völlig neuen Teil müsse man an einer ganz besonderen Stelle das Rohr und den Schlauch zusammenkneifen. Dann wäre es dicht. Wäre. Ist ja wirklich hochinteressant, dieses Klempnergeschäft. Dann kneifen Sie doch mal, bitte. Schnell!

"Mal schauen, ob das funktioniert"


Also wird flugs die Wand wieder aufgesägt, einmal kurz gekniffen und anschließend drei Mal übergestrichen. Sieht man – kaum. Nur das Bad ist völlig versaut, weil der Maler seine Pinsel im Waschbecken ausgespült hat. Kann passieren? Passiert. "Tut mir leid." Uns auch. Wir freuen uns auf den Besuch des wackeren Parkettverlegers, der die zerstörten Stellen ausbessern soll. Das wird spannend. Und die vielen Telefonate mit der Versicherung. Das ist mentale Wellness. Übungen in Demut.
Die freundliche Bedienung bei der Post richtet unsere neue Sparcard ein und gibt ein beherztes "Mal schauen, ob das funktioniert" mit auf den Heimweg. Wäre gut. Wirklich! Es geht ja immerhin um die Ersparnisse der Tochter aus 15 Jahren, die da verbucht werden sollten. Für ein Auslandsjahr in den USA. Mal schauen? Ob es funktioniert?
Richtig spannender Alltag für alle Beteiligten! Funktioniert natürlich nicht. Per Anschreiben werden wir aufgefordert, das Sparbuch einzureichen. Ja, genau das Sparbuch, das wir zwei Tage zuvor persönlich in der Filiale übergeben haben. Also zurück in die Warteschlange. Und dann Dialoge wie diese:
"Wo ist denn die Quittung für das abgegebene Sparbuch?"
"Haben wir nicht bekommen."
"Hätten Sie aber bekommen müssen."
"Können wir als Kunde aber nicht wirklich wissen."
"Ach so. Hm. Wer hat Sie denn bedient?"
"So eine Frau, mittleres Alter, mittlere Statur und ganz offenbar nur mittelmäßige Expertise, was Bankgeschäfte angeht."
"Aha. Ach so. Ich hole mal den Chef."
"Ja. Holen Sie mal."
Der Chef: "Sie hätten so eine Quittung bekommen müssen."
"Interessant."
"Aber das Geld ist nicht weg. Wir kommen nur gerade nicht ran."
"Das ist ja wie bei Middelhoff."
"Warten Sie mal, wir gehen nach hinten in die Banking-Ecke."
"Gerne."
Es liegt eine unbeschreibliche Wehmut, eine Erfahrung der Endlichkeit und der Vergeblichkeit des menschlichen Daseins in diesen Momenten.

Der zweite Versuch ist gefragt


Etwas später im Lokal blafft mich der Kellner an und holt mich zurück auf die Erdoberfläche. Ich hätte nach 15 Minuten Wartezeit auch mal nachfragen können, wo das Essen bleibt. Das hätte mir doch auffallen müssen, dass es zu lange dauert. Tut mir leid, entschuldige ich mich kleinlaut. Ich hatte mich gerade so gut mit meiner Begleitung unterhalten und einfach nicht an mein Essen gedacht.
Nein. Das meiste funktioniert nicht. Und überhaupt nichts funktioniert im ersten Anlauf. Immer ist der zweite Versuch gefragt. Mindestens. Das nervige Nachfragen. Die bräsige Beschwerde. Und in diesem magischen Nachfrage-Augenblick kehren sich dann blitzschnell die Verhältnisse um. Man wird im Handumdrehen selber zum Hindernis. Nicht mehr der Verkäufer, Klempner, maßlose Maler oder Postler ist schuld.
Jetzt ist man auf einmal selber der Sand im Getriebe. Der Nervtöter. Der Querulant. "Es tut mir richtig leid, aber Sie haben einen blöden Fehler gemacht – und ich muss jetzt gerade meine kostbare Zeit verschwenden und telefonieren, damit Sie ihn wiedergutmachen können", würde man am liebsten brüllen. Doch dann würde natürlich überhaupt nichts mehr funktionieren.

"Fang mal an zu leben!"


Jetzt sind klare Anweisungen gefragt. Kalter Pragmatismus. Ergebnisorientiert sollte man jetzt spielen. Unter einer gewissen Preisgabe der Selbstachtung und Höflichkeit. Höflichkeit bringt heute niemanden mehr weiter. Sie gilt nur noch als ein Zeichen für Schwäche und Aufgabe. Lautstärke, Frechheit, Dreistigkeit und undiplomatische Deutlichkeit siegen.
Wir leben in Zeiten, in denen nichts mehr im ersten Anlauf funktioniert. Nichts. Alles ist schwierig, passt nicht, kommt nicht, klappt nicht oder rastet nicht ein. Verabredungen werden nicht mehr getroffen und dann einfach eingehalten, sondern über Stunden vor dem eigentlichen Termin per Mail und WhatsApp (Link: http://de.wikipedia.org/wiki/WhatsApp) verschoben, verlegt, vertagt und am Ende vergeigt und vergessen. Gründe gibt es immer. Tausende.
Mir fehlt jedes Verständnis dafür. Und genau das wird mir dann auch noch übel genommen. Was für ein elender Spießer! Bei dem muss immer alles einfach funktionieren – da fehlt wohl etwas Fantasie. "Fang mal an zu leben!", sagen mir die mitleidigen Blicke.

Und deshalb möchte ich mich deshalb an dieser Stelle entschuldigen. Für meine Fantasielosigkeit, unterkomplexe Schlichtheit und meine naive Erwartungshaltung, dass irgendjemand heute seinen Job tatsächlich fachmännisch, pünktlich, schnell, unkompliziert und kompetent erledigt. Dass Verabredungen halbwegs pünktlich eingehalten werden. Dass man sich auf irgendeine Zusage auch einmal blind verlassen kann. Es tut mir wirklich leid.

Anmerkung des Bloggers
Ich gebe es zu: Ich muss mich ebenfalls entschuldigen! Wenn es um zwischenmenschliche Verbindlichkeit geht, bin ich "Old-School". Da gibt es keine Fantasie, Schlichtheit, Unmengen an Graustufen, sondern eine klare Erwartungshaltung: Vereinbarungen sind einzuhalten. Sicher kommt jedem einmal etwas dazwischen oder man muss einen Termin absagen. Kein Problem! Aber generell stehen getroffene Vereinbarungen und müssen nicht ständig bestätigt oder upgedated werden. Sie stehen einfach - felsenfest! Da bin ich weder Nervtöter noch Querulant und mache mich auch nicht "locker".
Wenn mein Gegenüber das nicht annähernd ähnlich "unlocker" sieht, will ich lieber keine Verabredungen eingehen. Sonst würde ich ja zulassen, dass das unverbindliche Verhalten anderer meine Laune und meinen Seelenfrieden stört. Da habe ich keine Lust drauf, das brauche ich nicht! Klar ist es dann meine Schuld, wenn ich so unflexible Erwartungshaltungen an meine Mitmenschen habe. Aber dann verabrede ich mich lieber erst gar nicht und "fange mal an, zu leben". Ganz locker!

Es ist die oberste Grundregel der Zivilisation: Die Freiheit des einen endet da, wo sie anfängt, die Freiheit des anderen einzuschränken. Genauso wenig will ich mit "Freunden" an einem Freiluft-Tisch sitzen, die neben mir ungefragt das Rauchen anfangen, während ich (Nichtraucher) noch esse. Insbesondere, wenn ich freundlich darauf hinweise und dafür - ob ihrer nonchalanten Möchtegern-Lebensart - angemacht werde. Es tut mir wirklich leid, dass ich so ein nervtötender Querulant bin, aber so bin ich nun mal.
Allen Menschen recht getan, ist eine Kunst, die keiner kann. Es gibt Menschen, die meine althergebrachte, zuverlässige, gewissenhafte "Lebensart" zu schätzen wissen. Mit denen "funktioniert" es auch...

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