Freitag, 23. November 2012

Nachtrag zum 31.10.: Halloween oder Reformationstag?

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Quelle: Offenbach Post Online vom 5. 11. 2012
http://www.op-online.de/nachrichten/hessen/himmel-hoelle-einer-ebene-2597960.html


Burg Frankenstein

Himmel und Hölle auf einer Ebene

Darmstadt - Halloween oder Reformationstag? Kein Datum ist widersprüchlicher besetzt
als der 31. Oktober. Und an keinem anderen Ort kommen sich Gruselfreunde und
Gläubige näher als auf Burg Frankenstein. Von Marcus Reinsch


Man stelle sich das vielleicht am besten so vor, dass irgendein höheres Wesen Himmel und Hölle an diesem Abend auf dieselbe geographische Ebene verlegt hat Himmel Stück runter, Hölle Stück rauf, sagen wir mal: auf einen Ausläufer des Langenbergs gleich hinter Darmstadt. Der Ort, an dem nicht weniger zu erwarten ist als der Kampf Gut gegen Böse, liegt 370 Meter über Normalnull. Normal ist in diesem Zusammenhang natürlich ein seltsames Wort. Wie normal kann es schon werden, wenn in einer Burg, die auf den Namen Frankenstein hört, gleichzeitig mehr als 2000 Gruselgäste das größte Halloween-Festival der Republik und 13 evangelikale Christen den Reformationstag feiern wollen.

Kein Datum ist widersprüchlicher besetzt als der 31. Oktober. Die älteren Rechte haben die Gläubigen. Anno 1517 soll der Mönch und Theologieprofessor Martin Luther mit seinen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg geschlagenen Thesen für so viel Wirbel gesorgt haben, dass die damals wohl ziemlich teuflischen Kirchenoberen schon bald nicht mehr jeden Reformansatz wegfoltern konnten.

Happy Halloween 2012 auf Burg Frankenstein bei Darmstadt
 
Bei Halloween ist die Sache schwieriger. Als Wurzel gelten zwar uralte keltische und heidnische Bräuche, die wohl mit der Vertreibung böser Geister einhergingen und sich mit Auswanderern auf der Welt verbreiteten. In seiner heutigen Form, als Re-Import mit amerikanischen Soldaten wieder über den großen Teich geschwappt, hat die Tradition allerdings erst wenige Dekaden auf dem Buckel. Allein: Hier geht es nicht um Zeit. Hier geht es ums Grundsätzliche, wie allergische Reaktionen des Protestantenlagers immer wieder zeigen. Jedes Jahr Ende Oktober konkurrieren in Lokalzeitungen Ankündigungen von Halloweenfeten mit durchaus kreativen Reformationsveranstaltungen der Kirchengemeinden um den knappen Platz.
 
Im Vergleich dazu wirkt der Umgang, den Alexander Schwarz, Pastor der Freien Christengemeinde Darmstadt, mit auf Burg Frankenstein einfallendem Horrorvolk zu pflegen sucht, regelrecht entspannt. Nicht, dass es besonders viel Umgang gäbe. Schwarz hat ein gutes Dutzend Gläubige aus einem halben Dutzend freikirchlichen Gemeinden in der Kapelle der Vorburg versammelt. Ein Gastprediger, drei Schwestern in der Tracht der auf einem Gelände namens Kanaan lebenden evangelischen Marienschwesterschaft Darmstadt, ein Keybordspieler, dessen Instrument in diesem winzigen Gemäuer wie ein abgestürztes Raumschiff wirkt, ein junger Mann mit Gitarre. Dazu sechs Besucher, die nicht so aussehen, als ob sie auf dem Weg zum Festival nur aus Versehen ins kleine Gotteshaus gestolpert sind.

Wer hier ist, hatte den gleichen Weg wie die Halloweener, aber das entgegengesetzte Ziel. Die Freikirchler, sagt Schwarz, sind weder wegen noch trotz der Horrorveranstaltung draußen vor der Tür auf den Berg gekommen. Es sei eben einfach wichtig für den Menschen, dass er nicht nur Grusel und Schrecken erlebt, sondern auch den Reformationstag nicht vergisst. „Das ist also keine Gegenveranstaltung in dem Sinne.“


Burg Frankenstein im "Normalzustand"
 
Keiner tritt also vor die hölzerne Pforte der Kapelle, um ein paar Verkleidete auf der Suche nach Spaß Gott finden zu lassen. Abgeschlossen sei aber natürlich auch nicht, niemand hier drinnen hätte etwas dagegen, wenn zwischendurch ein Gruselgast seine Nase in die Burgkapelle stecken würde. Platz wäre noch genug; die auf den vier Kirchenbänken verteilten Stullen, Thermoskannen und Liederbücher wären schnell beiseite geräumt.

Andersherum würden gerade die Kanaan-Schwestern in der Innenburg und im bespielten Graben kaum auffallen. Nonne ist dort schon deshalb eine beliebte Kostümierung, weil so eine Jesusbraut-Uniform an kalten Abenden mehr dem Gesamtbild nicht abträglichen Stoff zulässt als ein dürres Leichen-Leibchen. Dass sich Halloween-Gäste das Kreuz in aller Regel verkehrtherum um den Hals hängen… wer achtet da schon drauf?
Die Berührungspunkte, sie bleiben rar. Es ist, als ob die Christen nicht zur gleichen Zeit am selben Fleck, sondern in einem Paralleluniversum singen und beten und Franziskusbruder Kaleb lauschen. Der Mann mit dem amerikanischen Akzent spricht vor dem mit einer goldenen Pappkrone auf rotem Samtkissen und Davidsstern-Deckchen dekorierten Steinaltar über die Botschaft der deckenhohen Fahne in der Kapelle und darüber, dass wir „Gott lieben sollen, mit allem, was wir haben. Und unseren Nachbarn auch!“

Den Nächsten lieben, das dürfte gerade eine ziemliche Aufgabe sein. Von draußen, wo Horror-Hundertschaften vorbeiziehen, dringt eine Schallkulisse herein, die in Christenohren nach Hölle klingen muss. Kreischen, Stöhnen, Lachen. „Es braucht Lieder heute!“, sagt Prediger Kaleb, meint aber selbstintoniertes Gotteslob und nicht „Walk of Life“, das die Dire Straits in der sogenannten monsterfreien Zone der Vorburg aus den Lautsprechern singen. „Was entzweit ist, wird vereint sein im Kreuz“, verspricht Bruder Kalib.

Cover eines gleichnamigen Gruselromans

Das allerdings kann wirklich dauern. Die zwei Interessensgruppen auf dem Gelände deuten selbst gemeinsame Lieblingsworte so gegensätzlich, dass erstmal nicht mit einem gemeinsamen Nenner zu rechnen ist. Blut, zum Beispiel, ist in der Kapelle Sinnbild für Vergebung und in der Burg wichtiges Dekomaterial. Mit ewigem Leben wiederum meinen die Christen Jesus und perspektivisch sich selbst, die Halloweener aber den Innereienfresser, den Kettensägenmann, die anderen oft Gruselstreifen entliehenen Klassiker-Charaktere des Festivals. Und in diesem Jahr auch ziemlich viele aus ihren nassen Gräbern gekrochene Piratenzombies.
 
Ist zwar schon eine Weile her, dass Hollywood dem Interesse fürs Freibeutertum eine kurze Renaissance bescherte und jede Jazzdancetruppe jedes Turnvereins zum Soundtrack über die Bühne hüpfte. Doch die Halloween-Macher auf Burg Frankenstein haben ihren Ruf, jedes Jahresmotto mit Liebe zum kleinsten Detail und großen Aufbauten zu untermalen, tatsächlich verdient. Im Burghof bespielen Darsteller ein ziemlich originalgetreues Schiff, eine Hafenspelunke, einen Knast, ein Bordell. Und im Hof, Schauplatz kleiner Augenklappen-Stücke, versteigert der Oberpirat junge Mädchen im Dutzend billiger. Die Gäste vor der Bühne sind begeistert.

Gruseln und Schockieren: an Halloween ist alles erlaubt
 
Die in Kapelle aber auch. Sie singen jetzt, untermalt von Keybord und Gitarre, „Macht hoch die Tür“. Das kann draußen zwar keiner gehört haben; trotzdem erfolgt eine unmittelbare Reaktion: Es tut einen Schlag. Die Monstertruppe hat sich eine Karnevalskanone geborgt und zielt mit einigem Feuerzauber aufs Burgportal. Das Publikum bekommt, was es will. Nervenkitzel, Spaß, mal gegen das historische Gemäuer geklatscht werden. Für die Clique schön-schrecklich anzuschauen, für den Delinquenten selbst harmlos. Verletzt wird hier nur der Stolz von Typen, die kreischen wie kleine Mädchen, noch bevor ihnen ein gehörnter Folterknecht auf der Streckbank Eiswürfel in die Unterhose steckt. Perfekt inszenierte Lausbubenstreiche in martialischem Gewand.
 
Im Gottesdienst heben sie derweil die Arme, als hätten sie eine christliche Choreographie einstudiert. „Es gibt keine Choreographie“, versichert Pastor Schwarz. „Wir kennen uns eben alle.“ Das ändert sich, als zu später Stunde geschieht, was undenkbar schien: Einige Fremde schieben sich vom Burghof in die Kapelle. Schwarz ist nicht überrascht. „Haben wir jedes Jahr. Wir hatten auch schon Monster mit Maske hier drin. Wir haben für sie gebetet.“

 
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