Quelle: "Die WELT" vom 31. Juli 2014
Das tödliche "N" wird zum Symbol des Widerstands
Nur vier Optionen ließen die Terroristen des Islamischen Staates (IS) den Christen der Stadt Mossul: Flucht, Konversion zum Islam, Zahlung einer Schutzsteuer oder das Schwert. So stand es in Droh-Flugblättern, die sie in der eroberten nordirakischen Stadt verbreiteten. Im Wissen um die Gräueltaten der Islamisten, die Videos ihrer Massaker und Kreuzigungen im Internet verbreiten, wählten die noch in der Stadt lebenden Christen die Flucht. Seit vorvergangenem Samstag ist Mossul erstmals in seiner 1800-jährigen Geschichte ohne Menschen christlichen Glaubens.
An diesem Tag lief das Ultimatum der Islamisten ab, zuvor hatten sie die Haustüren der Christen mit einem Zeichen versehen, das den Mördern den Weg weisen sollte: Hundertfach prangte in Mossul der Buchstabe "ن", das arabische "N". Er steht für Nazarener, so bezeichnen arabische Muslime Christen.
Den Geflohenen blieben nicht viele Möglichkeiten, gegen das erlittene Unrecht zu protestieren, doch aus ihren Reihen erwuchs die Idee, das Zeichen an der Wand an die "Haustüren" ihrer Profile in den sozialen Netzwerken zu schreiben. "Wir sind N", "wir sind die wegen unseres Glaubens aus der Heimat Vertriebenen", so drang die Botschaft in die Weiten des Internets.
Sie blieb nicht ungehört. Schon vor einer Woche berichteten US-Medien, dass sich mehr und mehr arabische Christen mit den Verfolgten solidarisierten und ebenfalls ihre Gesichter von den Facebook- und Twitter-Profilen löschten und durch das "N" ersetzten. Auch Muslime schlossen sich an. Schließlich erreichte die Botschaft auch die westlichen Kreise des Internets.
In Deutschland drücken mittlerweile Tausende ihre Solidarität mit den Vertriebenen aus, viele sind auf Facebook in entsprechenden Gruppen organisiert und laden zu Demonstrationen ein, wie etwa am kommenden Samstag in Mainz. Andere werden einfach durch das "N" in den Profilen ihrer Freunde an das Leid der Verfolgten erinnert und tragen kurzerhand selbst die Botschaft in ihre eigenen Bekanntenkreise.
"Verkehrung des Exodus"
Der evangelische Pfarrer Norbert Roth aus München sagt: "Für mich ist das ,N' auf meinem Facebook-Profil ein Zeichen der Hilflosigkeit. Was die IS-Terroristen den Christen im Irak antun, ist der absolute Wahnsinn." Dass alle Christen aus der Stadt vertrieben und die Türen mit dem "N"-Stigma versehen worden seien, erinnere ihn an eine "Verkehrung des Exodus, als das Volk Gottes seine Türpfosten mit Blut bestrich, um dem Tod zu entgehen".
Pfarrer Roth sagt, etliche seiner evangelischen und katholischen Bekannten bis hin zu Bischöfen hätten das "N" auf ihre Profile gesetzt.
Der Präsident der Deutschen Evangelischen Allianz (DEA), Michael Diener, war einer der Ersten, die das "N" in Deutschland verbreiteten. Der "Welt" sagte er, sein verändertes Profilbild solle zeigen: "Ich bin auch einer von denen, die mit diesem Jesus unterwegs sind, und ich leide mit meinen Schwestern und Brüdern, die um ihres Glaubens willen verfolgt werden – im Irak, in Syrien, in Nigeria und an so vielen anderen Orten."
Zugleich stehe für ihn das "N" auch dafür, dass niemand um seines Glaubens willen verfolgt oder getötet werden solle. Diener sagt, er distanziere sich ausdrücklich "von allen Islamhassern, die Facebook benutzen, weil sie meinen, der Islam sei immer und nur gewalttätig, menschenverachtend und militant".
Vertreibung von Christen nimmt zu
Die Kirche von England setzte sich ebenfalls schon vor einer Woche über ihre Profilbilder für das "N" ein und schrieb: "Wir stellen uns zu jenen, die sich solidarisch erklären mit den verfolgten Christen in Mossul: #WeAreN." Unter diesem sogenannten Twitter-Hashtag kommunizieren die Unterstützer der arabischen Christen in dem sozialen Netzwerk.
Die Vertreibung der Christen aus der arabischen Welt nimmt seit Jahren zu. Nach Angaben des Erzbischofs der syrisch-katholischen Kirche in Mossul, Yohanna Petrus Mauche, lebten im Irak bis zum Sturz Saddam Husseins in 2003 noch eineinhalb Millionen Christen, davon über 50.000 in Mossul.
Laut dem Erzbischof waren es im Dezember vergangenen Jahres nur noch 300.000 im gesamten Irak und etwa 25.000 in der zweitgrößten Stadt des zerfallenden Landes. Mossul war über Jahrhunderte das Zentrum der chaldäischen, assyrischen und armenischen Kirchen im Irak.
Sie möchten in ihrem Land bleiben
Jetzt haben auch die letzten Christen ihre Heimatstadt verlassen, nachdem die IS-Terroristen in den vergangenen Monaten weite Teile des Irak und große Gebiete Syriens unter ihre Kontrolle gebracht hatten. Ziel der religiösen Fanatiker ist die dauerhafte Errichtung einer islamischen Diktatur.
Dies abzuwenden ist laut dem Oberhaupt der katholischen Ostkirche, Patriarch Gregoire III. Laham, das Hauptinteresse der arabischen Christen. Er wandte sich laut der katholischen Nachrichtenagentur KNA gegen das Angebot Frankreichs einer erleichterten Aufnahme für Christen aus dem Irak.
"Wir brauchen nicht jemanden, der uns aufnimmt, sondern jemanden, der uns hilft, in unserem Land zu bleiben", sagte der Patriarch mit Sitz in Damaskus. Die internationale Gemeinschaft solle die Bevölkerung im Nahen Osten im Kampf gegen Terrorismus und islamistische Extremisten unterstützen. Er sagte: "Wir möchten in unserem Land sein und an der Seite unserer muslimischen Brüder leben, trotz aller Probleme."
Zum WELT-Artikel auf welt.de geht es HIER
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