Etwas später im Lokal blafft mich der Kellner an und holt mich zurück auf die Erdoberfläche. Ich hätte nach 15 Minuten Wartezeit auch mal nachfragen können, wo das Essen bleibt. Das hätte mir doch auffallen müssen, dass es zu lange dauert. Tut mir leid, entschuldige ich mich kleinlaut. Ich hatte mich gerade so gut mit meiner Begleitung unterhalten und einfach nicht an mein Essen gedacht.
Nein. Das meiste funktioniert nicht. Und überhaupt nichts funktioniert im ersten Anlauf. Immer ist der zweite Versuch gefragt. Mindestens. Das nervige Nachfragen. Die bräsige Beschwerde. Und in diesem magischen Nachfrage-Augenblick kehren sich dann blitzschnell die Verhältnisse um. Man wird im Handumdrehen selber zum Hindernis. Nicht mehr der Verkäufer, Klempner, maßlose Maler oder Postler ist schuld.
Jetzt ist man auf einmal selber der Sand im Getriebe. Der Nervtöter. Der Querulant. "Es tut mir richtig leid, aber Sie haben einen blöden Fehler gemacht – und ich muss jetzt gerade meine kostbare Zeit verschwenden und telefonieren, damit Sie ihn wiedergutmachen können", würde man am liebsten brüllen. Doch dann würde natürlich überhaupt nichts mehr funktionieren.
"Fang mal an zu leben!"
Jetzt sind klare Anweisungen gefragt. Kalter Pragmatismus. Ergebnisorientiert sollte man jetzt spielen. Unter einer gewissen Preisgabe der Selbstachtung und Höflichkeit. Höflichkeit bringt heute niemanden mehr weiter. Sie gilt nur noch als ein Zeichen für Schwäche und Aufgabe. Lautstärke, Frechheit, Dreistigkeit und undiplomatische Deutlichkeit siegen.
Wir leben in Zeiten, in denen nichts mehr im ersten Anlauf funktioniert. Nichts. Alles ist schwierig, passt nicht, kommt nicht, klappt nicht oder rastet nicht ein. Verabredungen werden nicht mehr getroffen und dann einfach eingehalten, sondern über Stunden vor dem eigentlichen Termin per Mail und WhatsApp (Link: http://de.wikipedia.org/wiki/WhatsApp) verschoben, verlegt, vertagt und am Ende vergeigt und vergessen. Gründe gibt es immer. Tausende.
Mir fehlt jedes Verständnis dafür. Und genau das wird mir dann auch noch übel genommen. Was für ein elender Spießer! Bei dem muss immer alles einfach funktionieren – da fehlt wohl etwas Fantasie. "Fang mal an zu leben!", sagen mir die mitleidigen Blicke.
Und deshalb möchte ich mich deshalb an dieser Stelle entschuldigen. Für meine Fantasielosigkeit, unterkomplexe Schlichtheit und meine naive Erwartungshaltung, dass irgendjemand heute seinen Job tatsächlich fachmännisch, pünktlich, schnell, unkompliziert und kompetent erledigt. Dass Verabredungen halbwegs pünktlich eingehalten werden. Dass man sich auf irgendeine Zusage auch einmal blind verlassen kann. Es tut mir wirklich leid.
Anmerkung des Bloggers
Ich gebe es zu: Ich muss mich ebenfalls entschuldigen! Wenn es um zwischenmenschliche Verbindlichkeit geht, bin ich "Old-School". Da gibt es keine Fantasie, Schlichtheit, Unmengen an Graustufen, sondern eine klare Erwartungshaltung: Vereinbarungen sind einzuhalten. Sicher kommt jedem einmal etwas dazwischen oder man muss einen Termin absagen. Kein Problem! Aber generell stehen getroffene Vereinbarungen und müssen nicht ständig bestätigt oder upgedated werden. Sie stehen einfach - felsenfest! Da bin ich weder Nervtöter noch Querulant und mache mich auch nicht "locker".
Wenn mein Gegenüber das nicht annähernd ähnlich "unlocker" sieht, will ich lieber keine Verabredungen eingehen. Sonst würde ich ja zulassen, dass das unverbindliche Verhalten anderer meine Laune und meinen Seelenfrieden stört. Da habe ich keine Lust drauf, das brauche ich nicht! Klar ist es dann meine Schuld, wenn ich so unflexible Erwartungshaltungen an meine Mitmenschen habe. Aber dann verabrede ich mich lieber erst gar nicht und "fange mal an, zu leben". Ganz locker!
Es ist die oberste Grundregel der Zivilisation: Die Freiheit des einen endet da, wo sie anfängt, die Freiheit des anderen einzuschränken. Genauso wenig will ich mit "Freunden" an einem Freiluft-Tisch sitzen, die neben mir ungefragt das Rauchen anfangen, während ich (Nichtraucher) noch esse. Insbesondere, wenn ich freundlich darauf hinweise und dafür - ob ihrer nonchalanten Möchtegern-Lebensart - angemacht werde. Es tut mir wirklich leid, dass ich so ein nervtötender Querulant bin, aber so bin ich nun mal.
Allen Menschen recht getan, ist eine Kunst, die keiner kann. Es gibt Menschen, die meine althergebrachte, zuverlässige, gewissenhafte "Lebensart" zu schätzen wissen. Mit denen "funktioniert" es auch...
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